Ewald Lochner über Herausforderungen des illegalen Handels und Substanzkonsums im öffentlichen Raum
Shownotes
In dieser Folge sprechen wir mit Ewald Lochner, dem Koordinator für Psychiatrie, Sucht und Drogenfragen der Stadt Wien. Wir reden über die aktuelle Situation im öffentlichen Raum und warum die Probleme zugenommen haben. Ewald Lochner erklärt, welche sozialen und strukturellen Entwicklungen dazu geführt haben, welche Rolle der illegale Handel spielt, warum mehr Sozialarbeit allein nicht reicht und welche Maßnahmen die Stadt Wien aktuell setzt, um die Lage zu verbessern.
Ein Gespräch über Ursachen, Verantwortung und den Versuch, zwischen Hilfe und Repression das richtige Maß zu finden.
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00:00:04: Alexandra: Willkommen bei Sozialpsychiatrie auf Wienerisch. Eine Gesprächsreihe der Psychosozialen Dienste in Wien. Wir liefern Einblicke in die psychosoziale Versorgung mit Fachwissen aus erster Hand und Detailtiefe statt plakativen Schlagzeilen.
00:00:39: Tatjana Gabrielli: Lieber Ewald, du bist Koordinator für Psychiatrie, Sucht und Drogenfragen der Stadt Wien seit 2018. In den letzten Jahren hat sich sehr viel getan im öffentlichen Raum. Wir haben eine gewisse Krisenhaftigkeit in der aktuellen Zeit, aber insbesondere im letzten halben Jahr scheint sich da noch mehr Unruhe angesammelt zu haben, sodass wir jetzt auch in den Medien vermehrt darüber lesen. Vielleicht einmal aus deiner Sicht: Was ist denn tatsächlich die Situation vor Ort?
00:00:47: Ewald Lochner: Grundlegend ist dazu erstens zu sagen, dass sich die Situation der Bevölkerung seit 2020, und vor allem in der Folge 2020, doch erheblich erschwert hat. Was meint man damit? Es geht in dem Fall einerseits um die sozioökonomische Struktur, es geht um das Einkommen. Es geht aber auch in Folge dann um Wohnraum. Und wo halte ich mich auf? Und es war einfach so, dass im Rahmen dieses pandemischen Geschehens viele Menschen erkannt haben, dass der öffentliche Raum in Wien ein Ort ist, wo man sich gerne aufhält, wo man gerne ist und wo man auch gut sein kann. Und das hat sich jetzt weiter erhalten. Und in Kombination mit einer doch eher wirtschaftlich problematischen Situation und damit auch nicht mehr der Möglichkeit, vielleicht andere Angebote, die entgeltlich wären, wie „ich setze mich zum Wirten und trinke mein Bier“, zu nutzen, halten sich mehr Menschen im öffentlichen Raum auf. Das ist auch gut so, das ist auch ein Wunsch oder eine ganz klare Definition der Stadt, dass wir unseren öffentlichen Raum so gestalten wollen, dass sich alle dort aufhalten können und er möglichst eine hohe Aufenthaltsqualität hat. Wenn viele Menschen sich wo aufhalten, dann der Platz gleich bleibt, nämlich der Raum gleich bleibt, dann ist es klar, dass es zu mehr Nutzungskonflikten kommt. Das ist jetzt einmal eine Thematik, die wird jetzt auch noch weitergehen. Also wenn wir uns hier anschauen, wie die wirtschaftliche Entwicklung jetzt für die nächsten Jahre prognostiziert ist, ist davon auszugehen, dass dieses Phänomen oder diese soziologische Struktur sich weiter forttragen wird. Bezogen ganz speziell auf bestimmte Zielgruppen wie Menschen, die eben suchtkrank sind und konsumieren, betrifft das natürlich auch. Die halten sich auch mehr auf. Aber und hier kommt das große Aber natürlich ist es so in unserer Stadt und das war bis 2022/23 konnten wir gemeinsam in unserer Stadt mit der Wiener Polizei einfach dieses Paradigma aufrechterhalten, dass der Handel mit illegalen Substanzen sich an keinem Ort manifestieren kann. Das heißt, dass jene Menschen, die handeln, einfach durch die Polizei so weit verfolgt werden, dass sie entweder aufgegriffen werden und dementsprechend dann im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten dann weiter eben der Staatsanwaltschaft etc. zugeführt werden. Oder dass eben sie in Bewegung gehalten wurden, weil sie wussten, dass das passiert. Das heißt im Endeffekt, wenn wir das jetzt so im Fachjargon sagt, die Handelsszene sollte sich immer bewegen. Seit 2022 23 haben wir einfach merken wir und sehen wir das und das ist ein … Wir sind ja in enger Abstimmung mit den Kolleginnen und Kollegen von der Wiener Polizei, dass das aufgrund unterschiedlichster struktureller personeller Sachen innerhalb der Wiener Polizei nicht mehr so gegeben ist. Da ist jetzt, und das muss man auch dazu sagen, jetzt schon im letzten halben Dreivierteljahr ist es sehr sichtbar geworden, dass sich plötzlich an manchen Orten sogenannte Handelsszenen tatsächlich etabliert haben. Und das hat auch was damit zu tun, wenn man jetzt um dieses Gebiet Gumpendorfer Gürtel redet, aber es ist nicht nur Gumpendorfer Gürtel und dieses Umfeld, sondern es ist tatsächlich auch ein Stückchen weiter oben, dort in den 15. Bezirk hinein, aber auch in den fünften und in den vierten Bezirk. Das heißt, das sind momentan die Themen, wo sehr viel gehandelt wird. Wiewohl sich der Haupthandel in unserer Wahrnehmung oder in der Wahrnehmung unserer Sozialarbeit sehr rund um den Gumpendorfer Gürtel abspielt. Was bedeutet das jetzt? Das bedeutet, wenn dort klar ist, dass dort Handel ist, dass dort sehr viele Menschen angezogen werden, die illegale Substanzen kaufen wollen. Diese Menschen, die dort angezogen werden, sind teilweise Menschen, die kommen auch aus Niederösterreich oder die kommen aus dem Burgenland. Warum? Weil natürlich erstens einmal dort der Handel, weil aufgrund der Flächen des Bundeslandes das schon wesentlich schwieriger ist. Aber andererseits ist dort auch in diesen Bundesländern de facto keine Angebote, wir nennen das sogenannte niederschwellige Angebote, der Sucht- und Drogenarbeit gibt und daher werden sie natürlich auch angezogen von diesem Handel da und… und jetzt kommt das, was uns in Wien dann besonders wehtut und worunter dann die Anrainer*innen in dem Umfeld am meisten leiden, ist eben dann auch, dass, wenn dort gekauft wird, auch der Konsum direkt im öffentlichen Raum stattfindet. Das bedeutet, warum ist das so und warum ist ein Unterschied zwischen Wienerinnen und Wiener und Niederösterreicher*innen oder Burgenländer*innen in Wien oder was auch immer zu machen? Nachdem… Anspruchsberechtigung ist einfach so, dass die in Wien… wenn jemand in Wien anspruchsberechtigt ist, dann wird auch eine Wohnversorgung zur Verfügung gestellt. Das heißt, wir haben einfach, das wissen wir, dass um die Suchtkranken, die in Wien anspruchsberechtigt sind, zu einem ganz, ganz hohen Prozentsatz 95 96 % wohnversorgt sind und daher auch nicht darauf angewiesen sind, im öffentlichen Raum zu konsumieren, wenn sie was kaufen. Das ist leider bei den Menschen, die jetzt aus dem Umland zu uns nach Wien kommen, nicht der Fall. Die sind eben nicht anspruchsberechtigt, sind in Wien nicht wohnen versorgt. Werden also dann in dem Moment, wo sie Substanzen kaufen, die sie auch gleich konsumieren. Und das tun sie im öffentlichen Raum, weil die Heimfahrt doch relativ weit ist und der öffentliche Raum sich dann eben anbietet. Und das ist eben das Problem, das wir grad wahrnehmen und was wir gerade sehen und wo wirklich die Anrainerinnen und Anrainer einfach speziell dort in dem Gebiet Gumpendorfer Gürtel wirklich viel zu ertragen haben.
00:06:20: Tatjana Gabrielli: Das heißt, es werden sehr viele Probleme beschrieben. Als Wurzel würdest du das Hauptproblem sozusagen ist der illegale Handel.
00:06:29: Ewald Lochner: Ganz eindeutig, weil wenn wir den Handel wieder, wenn wir es schaffen, den Handel wieder in Bewegung zu bringen und nicht mehr in einem Ort manifestieren zu lassen, dann zieht das auch anderen Handel nicht mehr an. Also man kann das jetzt noch weiterdenken, in dem ich meine… das ist ein bisschen schwierig, aber wenn man es versucht, empathisch zu sein und sich in die Gedanken eines Drogendealers hineinzuversetzen, dann wird man sich überlegen… Wenn ich jetzt beispielsweise mir überlege, ich bin in Niederösterreich irgendwo in einer Kleinstadt und könnte dort schon Dinge verkaufen. Es wird aber wesentlich mühsamer sein. Das heißt, ich werde wesentlich längere Zeit brauchen, um einen bestimmten Umsatz zu lukrieren. Das ist… Wenn ich aber jetzt weiß, es gibt einen Ort, in Wien oder es gibt zwei Orte in Wien, wo das ist und ich fahr dort hin, dann werde ich dort wahrscheinlich relativ schnell einen hohen Umsatz erzielen. Das heißt, wir ziehen damit auch mit diesem Handel, manifestierten Handel auch Menschen, auch aus dem Umland, die handeln an, und so entsteht so eine Spirale. Das heißt, die Bekämpfung des Handels und die weiter in Bewegung Haltung des Handels würde schon ein wesentlicher Beitrag zu der Problemlösung sein. Aber bei mir geht es immer darum. Oder wir arbeiten jetzt und jetzt bin ich doch schon seit 2007 in diesem Bereich tätig. Es braucht zuerst eine gute Problemanalyse und Problemanalyse, hat selten was mit Schuldigen zu tun, sondern Problemanalyse zeigt auf irgendwie Wo ist das Problem? Und dann folgt die Überlegung: Welche Maßnahmen sind jetzt sinnvoll und gut und richtig? Und momentan befinden wir uns in so einem Staat gerade in dieser Phase, wo wir und wir meine ich, viele Dienststellen der Stadt Wien, aber eben auch die Wiener Polizei, auch die Wiener Linien uns gemeinsam überlegen, wie können wir mit dieser Situation so umgehen und wie können wir Problemlösungen anbieten und die dann auch umsetzen, sodass es zu einer erheblichen Entlastung der Anrainerinnen und Anrainer kommt, in diesen beschriebenen Gebieten. Dass wir aber auch dauerhaft sicherstellen, dass das weiter so ist. Denn was wir nicht wollen, ist, dass wir punktuelle Maßnahmen setzen, die dann vielleicht ein, zwei Monate greifen. Die aber dann wieder das selbe Problem noch einmal bringen oder vielleicht sogar noch verstärkt bringen. Das macht es gerade ein bisschen schwierig, weil hier müssen wir uns auch irgendwie überlegen, Wir sind alle also egal, ob das jetzt Bundeseinrichtungen sind oder Landeseinrichtungen, wir sind auch in einem bestimmten Budgetdruck ausgesetzt. Das ist jetzt nichts Neues. Das heißt, es braucht einfach auch neue Lösungsansätze, sich das zu überlegen, ohne jetzt die Mittel, die dafür notwendig sind, massiv in die Höhe schießen zu lassen.
00:09:03: Tatjana Gabrielli: Einer der Lösungsansätze, der ja sehr viel beschrieben, geschrieben, hochgelobt wird, ist einfach mehr Sozialarbeit. Weil die mobile soziale Arbeit wird ja über die Stadt finanziert, das heißt, das ist ein Instrument, was man tatsächlich steuern kann. Noch mehr Sozialarbeit ist das… würde das wirklich Probleme lösen?
00:09:26: Ewald Lochner: Auch hier ist wieder zuerst die Analyse Was haben wir gemacht? Und zur Analyse gehört doch immer dazu: Was ist passiert? Wir haben seit vor der Pandemie unsere Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter im Bereich der psychosozialen Versorgung um weit über 60 % aufgestockt. Das heißt, wir haben jetzt grosso modo täglich rund 250 Plusminus Kolleginnen und Kollegen, die sich im öffentlichen Raum speziell um die Zielgruppe Menschen mit psychischen Erkrankungen und Sucht Erkrankung kümmern und sich das Anschauen. Fast immer auch in einem, in einem, in einem mehrparteilichen Ansatz. Das heißt nicht nur, dass sie die Betroffenen selber vertreten und sich um diese kümmern, sondern eben auch Anrainer*innen, eben auch die Interessen von Gewerbetreibenden vertreten. Die Aufgabe dieser Sozialarbeit ist aber, wenn es jetzt ums Klientel selber geht, dann ist ihre Aufgabe einfach, die möglichst gut zu vermitteln und die gut in Behandlungssystemen im Tageszentrum zu vermitteln. Bzw. auch und das ist auch was, was ja was Besonderes ist in Wien auch eine bestimmte Form der Regelkommunikation durchzuführen. Das heißt zu sagen okay im schlimmsten Fall nein, Konsum im öffentlichen Raum ist nicht akzeptiert, dass es bitte zu unterlassen oder was es auch immer ist. Und da haben wir aber sind wir jetzt wieder bei dem zuvor beschriebenen Problem, wenn Regeln kommuniziert werden. Aber und da ist die Grenze, der Aufgabe der Sozialarbeit, die Sozialarbeit ist nicht dazu da, dann zu exekutieren, wenn diese Regeln gebrochen werden, die gerade kommuniziert worden sind. Dazu brauchen wir einfach die Unterstützung der Kolleginnen und Kollegen der Wiener Polizei. Das heißt, wenn ich eine Regel kommuniziere und es da wird, dann deren Einhaltung oder Nichteinhaltung nicht exekutiert, dann ist die Kommunikation der Regel zahnlos und haltlos. Und das ist ein bisschen auch unser Problem. Und daher sind auch die Kolleginnen und Kollegen von der Sozialarbeit momentan bei uns schon ein bisschen desperat und sagen selber, sie würden wirklich darum bitten, dass eine höhere Polizeipräsenz da ist, weil sie selber für sich das eben auch als unbefriedigend erleben und es ist auch das Problem nicht löst. Wiewohl man muss dazu sagen, jetzt waren wir sehr Sozialarbeit, wir sind sehr bei Polizei, es gibt natürlich auch andere Maßnahmen, die noch zu treffen sind in den unterschiedlichsten Gebieten. Also wir denken zum Beispiel gerade im sechsten Bezirk sehr intensiv drüber nach bzw. sind da auch schon in der Planung und in Gesprächen. Wie könnten wir bauliche Maßnahmen in manchen Park so verändern, dass in der Nacht beispielsweise kein Zutritt zu dem Park ist? Weil wir wissen eben entweder von den eigenen Einheiten der Stadt Wien für Sofortmaßnahmen oder von einem Büro für Sofortmaßnahmen oder eben auch von der Wiener Polizei, dass es schon auch in der Nacht dort zu erheblichem Handel kommt. Das heißt, wenn der Park aber nicht offen ist, dann wird das in der Nacht nicht möglich sein. Außerdem Parks, die man in der Nacht zusperren kann, könnte man auch tagsüber besser kontrollieren. Wäre das eine Maßnahme? Weitere Maßnahmen sind sicher auch sich zu überlegen wie können manche… wie kann mancher Raum, der jetzt enger geworden ist aufgrund Baustellen, Tätigkeit etc. wie könnten wir versuchen den wieder mehr zu gestalten, größer zu gestalten? Auch das sind Varianten es zu tun.
00:12:50: Tatjana Gabrielli: Sind denn zu wenig Plätze für suchtkranke Menschen vorhanden? Könnte man sagen: offensichtlich ist der Bedarf so groß, sichtbar im öffentlichen Raum, dass die Stadt Wien nicht mehr nachkommt, den auch zu decken.
00:13:08: Ewald Lochner: Jene Menschen, die suchtkrank sind und sich behandeln lassen wollen, werden in Wien eine Behandlung finden und die ganz niederschwellig, das ist, das stelle ich jetzt mal außer Diskussion. Die Sache ist immer so wie bei jeder anderen Erkrankung möchte ich mich in einer Behandlung unterziehen oder nicht? Es gibt in Österreich per Gesetz keine Zwangsbehandlung, das kann man auch nicht tun, das geht auch nicht und das soll auch nicht so sein. Oft wird aber auch verwechselt Behandlung von Suchtkranken mit anderen Thematiken, die eben mit der mit der Suchtarbeit verbunden sind. Ein Beispiel, das sogenannte niederschwellige Angebote in der Sucht- und Drogenarbeit wie ein Spritzentausch wird oft kolportiert. Wir haben ja eigentlich nur einen Spritzentausch in ganz Wien. Nein, das stimmt nicht. In Wien kann man an 41 Stellen über ganz Wien quer verteilt Spritzen tauschen. Also das, das sind wichtige Angebote und das in unterschiedlichsten Settings. Ob es das direkt in Suchthilfe Einrichtungen ist, ob das in Apotheken ist oder ob das in Einrichtungen der Wiener Wohnungslosenhilfe ist das sind unterschiedliche Settings, sprechen unterschiedliche Zielgruppen an, das ist uns ganz wichtig, Das zur Verfügung zu stellen. Andere Angebote für Menschen und ich rede jetzt einschränkend auf jene Menschen, die eher opiatabhängig sind oder intravenös konsumieren, von anderen Substanzen oder so was sind natürlich die unterschiedlichsten Einrichtungen der Wiener Suchthilfe, wo sie Behandlung erfahren. Auch Behandlung, das wollen wir nicht vergessen, sind Rund 7000 Opiatabhängige in Wien sind im Substitutionsprogramm. Dieses Substitutionsprogramm ist eben so, dass eben statt einer illegalen Substanz werden dann eben Medikamente verschrieben, die möglichst eine Stabilisierung des Patienten der Patientin erreicht und wie bei anderen Erkrankungen auch oder wie bei anderen Bereichen von Suchterkrankung auch, gibt es manche Menschen, die schaffen dann auch, dass sie einfach dieses Medikament runterdosieren und dann gibt es andere Menschen, die behalten diese Dosis immer gleich. Also das hat sehr viel, das ist jetzt sehr medizinisch, aber die Sucht ist halt nun einmal eine chronisch rezidivierende Erkrankung, das heißt, man hat das grundsätzlich ein Leben lang und das kann manchmal stärker und manchmal schwächer werden. Aber im Endeffekt geht es darum, dass die Menschen gut in Behandlung sind. Das Substitutionsprogramm ist ein absolutes Erfolgsmodell, aber wir haben von diesen 7000 Patient*innen auch und da sind wir recht gut in den Erhebungen rund circa 500 Patientinnen, die dieses Programm nicht so annehmen oder nicht so verwenden, wie das regelkonform ist. Das heißt, die Medikamente dann möglicherweise verkaufen, um sich für das Geld, das sie da einnehmen, von den verkauften Medikamenten in andere illegale Drogen zu kaufen. Hier haben wir ein spezielles Abkommen auch mit der Polizei, dass das in dem Moment, wo die angezeigt werden oder von der Polizei erwischt werden beim Handel mit dem Substitutionsmedikament, dass diese Anzeige so schnell wie möglich an die Wiener Gesundheitsbehörde geht. Und die Wiener Gesundheitsbehörde hat dann eben auch ein Programm, wo sie dann die Menschen erstens einmal sofort den Arzt oder die Ärztin im niedergelassenen Bereich informiert, dass diese Anzeige passiert ist und dass diese Abgabe Form dann nämlich die Abgabeform des Medikament nicht von dass man zum Beispiel eine Packung für eine Woche mitbekommt, sondern dass man die Packung nur oder dass man nur immer ein Stück oder zwei Stück pro Tag mitbekommt. Das kann sofort von der Gesundheitsbehörde über den Arzt geändert werden oder aber auch von der Gesundheitsbehörde in der Apotheke, die das abgibt. Also diese zwei Varianten haben wir und außerdem wird jede Person, die da aufgegriffen wird und im Substitutionsprogramm ist, eben sofort in das Ambulatorium der Sucht- und Drogenkoordination geschickt, sozusagen. Und dort wird noch einmal eine Erhebung gemacht, wird noch einmal mit der Patient*in geschaut, was dann passiert. Würde sich die Patientinnen und Patienten dort nicht melden, würde automatisch dann auch eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft eingebracht werden und das Ganze passiert natürlich auch… also wenn das öfter passiert, ist das sowieso der Fall. Das heißt, das ist ein enges Netz, das wir da versuchen zu spannen. Wir müssen uns aber auch im Klaren sein So eng kann kein Netz nicht sein, dass es nicht auch ausgenutzt wird und dass es auch missbraucht wird. Das ist leider so. Unsere Aufgabe ist es einfach nur diesen Missbrauch möglichst klein zu halten. Wenn wir uns anschauen, die Sicherstellung von Substitutionsmedikamenten bei den Anzeigen oder bei den Aufgriffen der Wiener Polizei über die letzten paar Jahre und sowohl in Wien wie in ganz Österreich ist das de facto eine Konstante. Ja, das ist, dass es jedes Jahr immer circa die gleiche Menge. Wenn wir uns die Anzeigen anschauen, sind das auch immer die gleichen. Das heißt, diese Problematik des Missbrauchs von Substitutionsmedikamenten, das Wissen wir seit Jahrzehnten, das haben schon meine zwei Vorgänger als Drogenkoordinatoren haben sich schon mit diesem Problem auseinandergesetzt. So ich auch. Das heißt, das ist eher eine Konstante. Das macht den jetzigen, die jetzige Problematik im öffentlichen Raum nicht gravierend schlechter oder besser.
00:18:05: Tatjana Gabrielli: Was würdest du jetzt vor allem den Menschen sagen, die die vielen Medien und Zeitungsberichte lesen und sich wundern über die Situation im öffentlichen Raum, besonders um die Gumpendorfer Straße herum?
00:18:16: Ewald Lochner: Ja, auch auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, weil ich also sowohl in Wien Heute wie auch in anderen Medien das schon ganz klar zum Ausdruck gebracht habe. Also ja, die Situation ist an manchen Orten mehr als nicht zufriedenstellend, also schlechter als nicht zufriedenstellend. Das muss man ganz eindeutig sagen. Und wir brauchen jetzt dort Lösungen dafür. Und an diesen Lösungen arbeiten wir. Es ist in dem Fall auch irrelevant, ob man findet, ich rede zu viel mit Medien oder zu wenig mit Medien, sondern es geht darum, welche Arbeit passiert im Hintergrund und wie langfristig schaffen wir es, das Problem zum Beispiel rund um den Gumpendorfer Gürtel dann zu lösen. Darum geht es momentan. Und das ist, glaube ich, das wird man auch sehen und das sieht man auch und das kann man auch in meiner Arbeit in den letzten Jahren sehen. Unser Job ist es, einfach Menschen, die krank sind, in erster Linie zu helfen. Und Menschen, die suchtkrank sind, sind krank und denen zu helfen. Und jetzt gibt es aber auch eine Grenze, das muss man auch ganz klar sagen. Und die Grenze ist, wenn Menschen, die krank sind und auch suchtkrank sind, nicht mehr in der Lage sind, so ihr ihre Krankheit so zu machen mit den Angeboten, die wir stellen, sondern eben im öffentlichen Raum konsumieren. Möglicherweise das irgendwie sehr sichtbar zu machen, sodass das Kinder sehen etc. alles was dazugehört, auch nicht mehr in der Lage sind, die Spritzenprogramme so in Anspruch zu nehmen, nämlich dass wenn ich intravenös konsumiert, dass die Spritze dann zurückgegeben wird im Spritzentausch, im Tausch gegen wieder ein sauberes Spritzbesteck, sondern dass das dann möglicherweise in einem öffentlichen Raum liegen bleibt. Da ist die Grenze weit überschritten, da ist die Grenze weit überschritten und das muss man auch ganz klar sagen. Und hier ist einfach notwendig, dass es repressive Maßnahmen gibt. Die sind entscheidend. Da werden noch repressive Maßnahmen helfen da dagegen. Das heißt noch einmal in der Wiederholung: einerseits Menschen, die krank sind, denen, denen gehört geholfen und denen helfen wir auch als Staat, aber genauso muss man sagen Menschen, die sich überhaupt nicht an Regeln halten können und auch andere dabei gefährden, nämlich Menschen, die damit überhaupt nichts zu tun haben, wie Anrainer*innen, was auch immer. Da kann dann nur mehr Repression helfen, wird sonst nichts mehr anderes helfen. Und das gilt es jetzt genau auch abzuwägen Wie können wir mit dem umgehen und wie können wir das organisieren, dass das speziell jetzt rund um den Gumpendorfer Gürtel, aber auch im 15. Bezirk, teilweise im vierten Bezirk und fünften Bezirk wieder zu einem zu einem verträglichen Nebeneinander im öffentlichen Raum kommen kann.
00:20:48: Tatjana Gabrielli: Du hast das jetzt schon mehrmals erwähnt, Stichwort Spritzentausch. Eines der niederschwelligen Angebote, die ja auch durchaus für Menschen aus anderen Bundesländern, aus anderen Ländern attraktiv sein kann und sie nach Wien zieht. Ist das nicht auch ein Problem?
00:21:05: Ewald Lochner: Ja, natürlich ist das ein Problem. Das sind wir, da kann man sich ausreden auf unseren Föderalismus, das nützt nur den betroffenen Menschen, die irgendwo leben und die das miterleben überhaupt nichts. De facto ist es so, dass jedes Bundesland für sich selbst definieren kann, welche Angebote sie im Gesundheitsbereich haben. So auch dann eben in der niederschwelligen Sucht und Drogenarbeit. Und da entscheiden sich manche Bundesländer halt gegen Spritzentausch. Das ist jetzt, muss man zur Kenntnis nehmen, aber und jetzt kommt das große Aber und eigentlich sind es zwei Aber: einerseits ist halt Wien die einzige Großstadt, die wir in Österreich haben, mit rund 2 Millionen Einwohnerinnen und Einwohnern. Und da gibt es eben die zwei Phänomene. Das eine ist das Großstädte grundsätzlich Menschen anziehen, die sozioökonomisch nicht so gut ausgestattet sind und eher zu marginalisierten Zielgruppen kommen. Das hat viele Gründe. Einerseits der Grund, was, was Stigmatisierung betrifft oder Auffälligkeit, ist im großstädtischen Bereich nicht so gegeben, wie das im ländlichen Bereich gegeben ist. Aber es hat auch viel mit dem Wunsch nach sozialer Teilhabe von diesen Menschen zu tun. Das ist in einer Stadt dann in einem öffentlichen Ort wesentlich mehr gegeben. Und unter sozialer Teilhabe versteht man nicht, dass man so leicht mit Menschen ins Gespräch kommt, sondern das Gefühl hat, dass man dazugehört. Und das ist in einer Großstadt… wenn ich an einem Ort bin, der hoch frequentiert ist von vielen Menschen, habe ich sehr schnell das Gefühl, dass sich da dazugehöre im Unterschied von woanders. Und zusätzlich ist es da noch… und dann wird eben und das ist unser Problem, wenn wir Angebote schaffen in Wien, das wissen wir aus den unterschiedlichen Kontexten, das muss nicht nur die Gesundheitsversorgung sein, das gibt es auch im Sozialbereich, das gibt es in sehr vielen anderen Bereichen, dann werden einfach vermehrt Menschen nach Wien kommen, die das in Anspruch nehmen. Und wenn der Druck von diesen Menschen eben aufgrund der Suchterkrankung und dieses Konsumdrucks, den sie da durch haben, so groß ist, dann werden sie auch nach Wien kommen und wenn sie dort dann dort einen Spritzentausch vorfinden, dann werden sie dort auch Spritzen tauschen. Sie wären halt, wenn sie nicht wohlversorgt sind in Wien, weil sie hier keinen Anspruch auf Wohnversorgung haben, werden sie halt im öffentlichen Raum konsumieren und das macht das Problem aus. Also wir sind da jetzt auch gar nicht, dass wir sagen, wir wollen jetzt niemanden, der nicht aus Wien kommt, dass er bei uns die Spritzen tauscht. Nein, nicht wir schauen uns das an. Wir schauen uns das auch nicht an und das ist auch okay so! Aber der Punkt ist halt schon, dass wenn dann eben plötzlich auch ein Verhalten an den Tag gelegt wird aufgrund des Zusammenhangs, dass für Wien schwierig verträglich ist. Dann muss man da auch wieder mit Repression reagieren, weil alles andere wird dann auch nichts nützen. Alles andere wird dann das Problem wahrscheinlich nur verschlechtern.
00:23:40: Tatjana Gabrielli: Konsum im öffentlichen Raum ist also etwas, was es zwar zu bekämpfen gilt mit verschiedenen Angeboten. Jetzt sag uns doch ehrlich Konsum Räume wären doch die Lösung für dieses Problem.
00:23:52: Ewald Lochner: Nein, für dieses Problem gibt es einfach so eine Lösung nicht. Also das von mir Aufgezählte, was eher langfristig ist, also so sind es auch Konsumräume nicht. Was ist ein Konsumraum? Für die Zuhörer*innen, die das vielleicht nicht wissen: das gibt es in vielen europäischen Großstädten, dass dort Räume sind, die meistens annähernd 24 Stunden am Tag offen haben. Also wirklich von, ich weiß nicht, sechs in der Früh, die haben nur von 6 in der Früh bis 8 in der Früh geschlossen beispielsweise. Und sonst haben sie von acht in der Früh bis um sechs wieder in der Früh, nächsten Tag einfach auf. Warum? Das ist in den meisten Städten so, dass Suchtkranke eben nicht oder ganz schlecht Wohnenversorgt sind und daher das auch als Aufenthaltsort genommen wird. Dass aber dort dann auch konsumiert werden darf und zwar konsumiert, bedeutet, dass Substanzen, die illegal erworben wurden, also illegale Substanzen, die eben erworben wurden, dass die dort konsumiert werden dürfen, egal ob das jetzt irgendwie geraucht wird, ob das irgendwie gesnieft wird oder ob das intravenös appliziert wird, das ist dann dort alles möglich. Das ist ein Konsumraum im Allgemeinen. Warum ist ein Konsumraum notwendig? Weil eben in dem Fall keine andere Möglichkeit besteht. Entweder weil wenn keine Wohnversorgung gegeben ist, kann man entweder im öffentlichen Raum konsumieren oder eben im Konsumraum. Jetzt haben wir in Wien eine gänzlich andere Situation, nämlich wir haben jene Situation, dass ein Großteil der, der der Wiener suchtkranken Menschen sehr gut Wohnversorgt ist und dort auch konsumieren kann. Das ist ein erster Unterschied. Zweiter Unterschied ist und das ist es, ich gehe davon aus, wenn wir uns überlegen, dass wir eine 2 Millionen Einwohner*innen Stadt haben und dass wir halbwegs eine Abdeckung haben müssten, dass ein Konsum nicht die Lösung ist, sondern es werden wahrscheinlich zwischen 6 bis 8 Konsumräume die Lösung. Und das wäre auch keine Lösung. Warum? Jetzt kommt der Punkt: Egal an welchen Orten wir diese Konsumräume positionieren würden, wird es immer einen Teil der Zielgruppe geben, der direkt nach dem Kauf von einer illegalen Substanz sofort konsumieren wird und das im öffentlichen Raum tun wird. Das heißt wir hätten dann die Problematik erstens rund um die Konsumräume, weil natürlich um einen Konsumraum wird sich Handel etablieren. Den muss dann die Polizei in Bewegung halten, weil es bleibt weiter illegal. Der Kauf und der Erwerb der Substanzen. Das ist das eine Problem, das wir damit schaffen. Und das andere Problem, das wir damit eben nicht lösen, ist, dass es einen bestimmten Teil der Zielgruppe weitergeben wird, die im öffentlichen Raum konsumieren. Das ist aber genau der Teil der Zielgruppe, den wir auch wieder nur damit erwischen würden, dass wir den Handel in Bewegung halten und nicht manifestieren lassen. Also so weit zu der Konsumraum-Thematik, an die ein bisschen anschließend auch immer die Forderung sucht, Hilfeeinrichtungen sollen an den Stadtrand oder in Industriegebiete oder wo auch immer hin verlagert werden. Das mag sich vielleicht in der Theorie sehr gut anhören, ist aber nicht einmal eine politische Forderung, weil politische Forderungen sollten auch durchdacht sein. Das wäre Geldverschwendung. Warum? Wir wissen einfach und das ist eines der besten erforschten Bereiche oder Themen, die es gibt, dass die Annahme von Suchthilfezentren, von was auch immer niederschwelligen Sucht und Drogenangeboten, die müssen dort sein, wo möglichst gute verkehrstechnische Erreichbarkeit ist und wo möglichst hohe sozialer Zusammenhang gegeben ist. Und das ist halt in diesem vielgeforderten am Stadtrand selten der Fall. Bzw. Müssten wir uns in Wien auch einmal überlegen, was es heißt, am Stadtrand in Industriegebieten. Können wir uns bitte mal anschauen die Wienkarte und schauen, wo ist denn Wien nicht bebaut? Wo gibt's denn am Stadtrand Industriegebiet, wo das wäre? Also das sind Forderungen, die scheinen nicht durchdacht zu sein und sind in keinem Fall fachlich irgendwie haltbar. Und letztlich wäre das ja eine massive Geldverschwendung. Geld, das ohnedies momentan nur wenig zur Verfügung steht.
00:27:32: Tatjana Gabrielli: Das heißt, es gibt einige Vorschläge, die auf gut Deutsch für den Hugo sind. Welche Maßnahmen trifft denn die Sucht und Drogenkoordination aktuell, um mit diesen Problemen zurechtzukommen?
00:27:50: Ewald Lochner: Also einerseits ganz intensive sozialarbeiterische Betreuung im öffentlichen Raum einerseits, andererseits Reinigungsprogramme, die wir jetzt ins Leben gerufen haben, wo Suchtkranke selber die sind suchtkrank und die aber selber in die Parks gehen und dort den Park reinigen. Eine ganz enge Kooperation mit den anderen Stellen der Stadt Wien wie der MA 48 und MA 42, dass es zu regelmäßigen Reinigungen kommt. Wenn Anrainer*innen merken, dass es zum Beispiel Konsum in den Hauseingängen gibt oder woanders, irgendwo in dem Haus, dass man die Suchthilfe anruft, dass die Sucht Hilfe Kolleginnen dort irgendwie vor Ort hinkommen. Erstens einmal sich das anschauen, zweitens aber auch das Beseitigen, wenn es dort irgendwas liegengeblieben ist oder so was. Und da noch gleich weiter beraten. Wie kann man das weiter verhindern? Wir werden weiter und das tun wir die ganze Zeit schon möglichst breit über Wien, ich möchte noch einmal sagen, wir haben hier jetzt an 41 Stellen Spritzentauschstandorte. Wir werden das weiter diversifizieren. Wir werden das weiter ausbauen, so dass eben die Konzentrationen in einem Ort nirgendwo gegeben sein muss. Das sind alles Maßnahmen, die es gibt und die wir tun. Letztlich gibt es aber auch Maßnahmen, für die wir als Sucht und Drogenkoordination… da sind wir nicht zuständig und reicht auch unsere Kompetenz nicht. Da geht's halt um den Handel. Da geht es halt wirklich darum zu sagen, wir müssen diesen Handel von illegalen Substanzen in Bewegung halten. Und das können wir immer nur mit der Wiener Polizei.
00:29:15: Tatjana Gabrielli: In dem Fall, lieber Ewald, bedanke ich mich sehr herzlich bei dir, dass Du da Rede und Antwort gestanden bist und uns auch ein paar Fakten mitgegeben hast.
00:29:23:
00:29:31: Alexandra: Das war Sozialpsychiatrie auf Wienerisch. Einblicke, die sonst oft fehlen. Jetzt abonnieren für mehr Gespräche mit Expert*innen aus Psychiatrie-, Sucht- und Drogenarbeit und sozialer Praxis.
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